Spaniens Klassenkampf zur dritten Republik

2021 ist die spanische Monarchie im freiem Fall, die Jugend revoltiert. 2020 im Juli ist der Exkönig von Spanien, Juan Carlos I., wegen einer Steueraffäre aus dem Land geflohen. Der ehemalige König flieht also vor laufenden Ermittlungen wegen Korruption ins Ausland. Ruf nach Republik wird lauter.

Gegner der Monarchie in Spanien sehen mit Hoffnung auf die Krise der Krone, deren Herrschaft der Diktator Francisco Franco (1939–1975) dem Land wieder aufgezwungen hatte. Vorläufiger Höhepunkt: Am Montag abend gelangte ein Brief des ehemaligen Königs Juan Carlos I. an seinen Sohn und Nachfolger Felipe VI. an die Öffentlichkeit. Darin heißt es, er wolle sich »aufgrund des öffentlichen Widerhalls, den bestimmte Ereignisse aus meinem Privatleben in der Vergangenheit derzeit hervorrufen«, ins Ausland absetzen.

Kommunisten bauen auf ein breites Bündnis.

Der Europarat hat immer wieder die nicht funktionierende Gewaltenteilung in Spanien kritisiert und insbesondere die fehlende Unabhängigkeit der spanischen Justiz. Er bezog sich dabei konkret auf die Arbeit der obersten spanischen Justizbehörde CGPJ (Consejo General del Poder Judicial). Seine Verbesserungsvorschläge sind aber bisher immer ohne Wirkung verhallt. Es gibt dafür ein hochaktuelles Beispiel, das massive Folgen für die Zukunft Spaniens haben kann, nämlich die Politisierung des CGPJ im Zusammenhang mit seiner Rolle beim Vorgehen gegen die katalanische Unabhängigkeitsbewegung.

Die fehlende Gewaltenteilung ist in der Causa Katalonien nicht nur als Einflussnahme der Politik auf die Justiz zu beobachten, sondern auch umgekehrt als der Versuch von Richtern, sich zu Protagonisten der spanischen Politik zu machen. Eine Hauptfigur in diesem Zusammenhang ist der Richter Pablo Llarena. Nach Berichten, die allerdings von den spanischen Medien weitgehend ignoriert werden, hatte der CGPJ die Einsetzung von Pablo Llarena als Ermittlungsrichter gegen die katalanischen Unabhängigkeitspolitiker von langer Hand und ohne Rücksicht auf die geltenden Rechtsvorschriften vorbereitet, mit dem Ziel, die Betroffenen von Anfang an zu kriminalisieren, auf der Basis konstruierter Straftatbestände wie der Rebellion. Anstoß zu den folgenden Ausführungen gab ein ausführlicher Artikel von Carlos Enrique Bayo und Patricia López zum Aufstieg Llarenas ins Oberste Gericht, veröffentlicht in der digitalen Zeitung publico.es vom 13. September 2018.

Den ersten Schritt auf diesem vorweg geplanten Weg zum Aufstieg ins Oberste Gericht tat Llarena, als er im November 2015 seine Funktion als Präsident der dem PP (Partido Popular) nahestehenden Richtervereinigung Asociación Profesional de Magistratura (APM) aufgab. Von diesem Zeitpunkt ab wurde mit allen Tricks sein Aufstieg zum Richter der 2. Kammer des Tribunal Supremo (TS), (Oberstes Gericht), betrieben. Diese Kammer ist für Verfahren gegen Personen zuständig, die Immunität genießen (in Spanien neben Abgeordneten viele andere politische und öffentliche Funktionsträger – der König ausgenommen, der nicht nur Immunität genießt, sondern mit einer vollständigen Unverletzlichkeit ausgestattet ist).

Die Monarchie genießt immer weniger Unterstützung, vor allem unter den Jugendlichen. Die Meinungsforschungsinstitute veranstalten seit mindestens sechs Jahren keine Umfragen zu diesem Thema. Die Ergebnisse einer aktuellen Befragung, die von unabhängigen Medien durchgeführt wurde, sind eindeutig: Bei einem Referendum würden 40 Prozent der Bevölkerung die Republik unterstützen und nur 30 Prozent die Monarchie. Mitglieder der Bourbon-Familie in Spanien werden nicht zum ersten Mal aufgrund politischer oder wirtschaftlicher Skandale, die stets mit Korruption verbunden sind, den Thron verlassen müssen.

Für mich ist das eine Frage der demokratischen Notwendigkeit, des Heute und Jetzt und der Entwicklung unserer Demokratie. Mehrere Generationen, die nach dem Ende der Diktatur aufgewachsen sind und mittlerweile die Mehrheit der Gesellschaft bilden, akzeptieren keine Institution, die der Demokratie fremd ist. Sie verstehen nicht, warum sie das Staatsoberhaupt noch nie direkt wählen konnten, sie akzeptieren diese Staatsordnung nicht, die der Gesellschaft von der faschistischen Diktatur unter Androhung von Gewalt aufgezwungen worden ist und die von ihrem Wesen her für Ungleichheit und Privilegien steht. Die Monarchie wurde uns vom Franco-Regime vererbt, und sie repräsentiert alles, was einer Demokratie fremd ist.

Soviel Unterstützung wie heute genoss die republikanische Regierungsform seit dem Ende der Diktatur noch nie. An dieser Stelle sei auch gesagt, dass 55 Prozent der spanischen Wähler bei den letzten Parlamentswahlen für republikanische Parteien gestimmt haben. Früher oder später wird die Dritte Republik Realität sein.

Nicht nur mit Katalonien und dem Baskenland, sondern auch mit Galicien und Andalusien, die alle auch nach dem derzeitigen Verfassungsmodell ihre Autonomie bewahren. Es geht darum, einen neuen politischen Pakt zwischen allen Völkern und ethnischen Gruppen in Spanien zu schließen, der auf freiem Zusammenhalt beruht, der gesamten Bevölkerung ein würdiges Leben und allen Nationalitäten die Entfaltung ihrer Rechte garantiert – ein föderales Modell, in dem sich alle Völker Spaniens als Gewinner fühlen können.

Podemos ist eine wesentliche politische Kraft für die demokratische Revolution, die Spanien benötigt, um eine Republik zu etablieren, die der Mehrheit der Bevölkerung dient. Das ist der wichtigste Punkt, in dem die Programme unserer Parteien übereinstimmen, ebenso wie in so relevanten Fragen wie Feminismus und Umweltschutz. Natürlich geht dabei unser politisches Ziel wesentlich weiter: Wir wollen den Kapitalismus abschaffen und eine sozialistische Gesellschaft aufbauen.

Wir Kommunisten haben eine traditionsreiche Identität in Spanien, die auf jahrzehntelangem Kampf für Freiheit, Demokratie und Sozialismus beruht. Wir haben gegen zwei Diktaturen und eine autoritäre Monarchie immer auf seiten des Volkes gekämpft. Kommunismus ist keine Identität, er ist ein politisches Programm. Der Schlüssel dazu sind wir. Wichtig ist nicht allein zu sagen, wer wir sind. Was die taktische Arbeit unserer Partei betrifft, so war unser Projekt immer der Aufbau breiter politischer Bündnisse mit linken und demokratischen Kräften, um Rechte zu garantieren, die der Kapitalismus und der Neoliberalismus der Arbeiterklasse und den Völkern verweigern. Deshalb haben wir innerhalb des Linksbündnisses »Izquierda Unida« agiert und deshalb bauen wir jetzt zusammen mit Podemos das neue Bündnis »Unidas Podemos« auf.

Unsere Hauptaufgabe besteht darin, die Forderungen des Volkes innerhalb aber auch gegenüber der Regierung, an der wir seit Januar 2020 beteiligt sind, geltend zu machen. In der neuen spanischen Regierung stellt »Unidas Podemos« fünf Minister, unter ihnen zwei Kommunisten. Gleichzeitig bändigen wir rechte und reaktionäre politische Kräfte, die in verschiedenen politischen und sozialen Institutionen unseres Landes überrepräsentiert sind und sie als ihr Eigentum betrachten.

Unser Ziel ist es, unser Land zu demokratisieren und unser politisches Programm umzusetzen. Unser Minimalprogramm beinhaltet den Kampf für punktuelle Verbesserungen der Lage von Arbeitern, unser Maximalprogramm geht deutlich weiter: Wir beabsichtigen eine demokratische Revolution, um das Modell einer sozialistischen Gesellschaft zu errichten.

Wenn an unserer Partei etwas besonders erwähnenswert ist, abgesehen von den großen Persönlichkeiten wie Dolores Ibárruri, dann ist es unsere kollektive Arbeit und die Fähigkeit zum Widerstand. In den letzten hundert Jahren wurden wir dreimal verboten, und unsere Peiniger haben es nie geschafft, die kommunistische Partei kleinzukriegen. Jahrzehntelang waren wir die wichtigste politische Kraft, die gegen die Diktatur kämpfte. Gleichzeitig förderten wir aber auch breite soziale und gewerkschaftliche Bewegungen. Wir organisierten Massenstreiks und Demonstrationen: von der Verteidigung der Zweiten Republik oder der Gründung der republikanischen Volksarmee, die der Intervention des internationalen Faschismus während des Spanischen Krieges Widerstand leistete, bis zur Etablierung der wichtigsten spanischen Gewerkschaft heute, der Comisiones Obreras.

Ohne Zweifel sind Dolores, Marcelino Camacho, Marcos Ana (der »spanische Mandela«, der die längste Haftstrafe während des Franco-Regimes absaß) – ihr Kampf, ihre Standhaftigkeit – ein Vorbild für die Jugendlichen unseres Landes, aber auch für alle Demokraten, die in Spanien leben.

Was sind die drei Hauptprobleme der spanischen Arbeiterklasse?

Wenn wir über wirtschaftliche Probleme sprechen, so ist es zunächst die prekäre Situation, die durch den Verlust von Arbeitsrechten und -garantien und durch die Wirtschaftskrise immer häufiger entsteht. Sie erlaubt es den Kapitalisten, die Schrauben fester anzuziehen und die Arbeitenden noch rücksichtsloser auszubeuten.

Zweitens sind es die hohen Wohnmieten. Arbeiter bringen einen Großteil ihres Einkommens auf, um sich ein Dach über dem Kopf leisten zu können, und verhelfen damit Rentiers, Banken und Immobiliengesellschaften zu immensem Reichtum. Drittens ist es der Verfall der sozialen Infrastruktur nach jahrzehntelangen Einsparungen im Bildungs- und Gesundheitswesen, in der Kinderbetreuung und Pflege, in Kultur und Sport.

Besteht Ihrer Meinung nach heute die Gefahr einer Restauration des Franquismus in Spanien?

Der Franquismus hat in den Institutionen überlebt, die wir als das »Regime von 1978« bezeichnen. Diese Institutionen sind aus der Machtübertragung von der Franco-Diktatur auf die Monarchie hervorgegangen. Die Spanier können seit mehr als 80 Jahren kein Staatsoberhaupt wählen, das ist eine schwerwiegende demokratische Anomalie, vor allem wenn das Staatsoberhaupt oberster Befehlshaber ist. Das spanische Justizsystem wurde nach dem Franco-Regime nicht gesäubert und leidet heute unter gravierenden Demokratiedefiziten.

Und die spanische Rechte ist immer noch zutiefst franquistisch, nicht nur die extrem rechte Partei »Vox«, sondern auch die spanische Volkspartei, die von dem politischen Establishment der Diktatur gegründet wurde. Ebenso gibt es Kontinuitäten in der Wirtschaft: Ein Großteil der spanischen Bourgeoisie hat das Erbe der herrschenden Gruppen unter der Diktatur angetreten, darunter Banker, Großgrundbesitzer und Industrielle. Seit dem Ende des Franco-Regimes versucht diese Gruppe den Willen des Volkes und seiner Vertreter mit allen Mitteln zu verdrehen. Aus unserer Geschichte wissen wir, dass diese Herren zu allem bereit sind, wenn sie ihre Privilegien und ihre Rendite in Gefahr sehen. Sie kämpfen gegen uns und werden uns auch weiterhin mit allen Mitteln bekämpfen. Es ist unsere Pflicht, zu diesem unerbittlichen Kampf bereit zu sein.

Anmerkungen und Quellen:

Enrique Santiago wurde 1964 in Madrid geboren. 2018 wurde er zum Generalsekretär der Kommunistischen Partei Spaniens (PCE) gewählt. Er hatte zuvor als Anwalt gearbeitet, spezialisierte sich auf Menschenrechte und transnationale Justiz und übernahm die öffentliche Anklage gegen das chilenische Regime, indem er einen Haftantrag gegen den Diktator Augusto Pinochet stellte. Santiago war auch Anwalt der Familie von José Couso, einem Kameramann, der 2003 in Bagdad durch US-Soldaten getötet wurde (jW vom 02.03.2021).

jW Ausgabe vom 05.08.2020

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