Rote Hilfe

Nach den Märzkämpfen des Jahres 1921 erging der Aufruf zur Gründung der Rote-Hilfe-Komitees.

Schon die revolutionären Kämpfe in der Nachfolge der Novemberrevolution 1918 hatten zahllose Tote aus der Arbeiterbewegung gefordert, Tausende saßen in Haft. Im März 1921 spitzte sich die Situation weiter zu, als Reichspräsident Friedrich Ebert (SPD) den Arbeiteraufstand im mitteldeutschen Industrierevier um Halle und Leuna blutig niederschlagen ließ. Die Angehörigen der meist männlichen politischen Gefangenen, der Untergetauchten und Getöteten lebten in größter Armut, weil sie oft des Hauptverdieners beraubt worden waren. Für sie, aber auch für die inhaftierten Genossen und all jene, die aus Angst vor Verhaftung geflüchtet waren, musste schnelle Hilfe organisiert werden.

Um diese Aufgabe zu bewältigen, initiierte die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) ein flächendeckendes Solidaritätsnetzwerk. Am 12. April 1921, vor genau 100 Jahren, erschien in der Parteizeitung Rote Fahne der Appell »Hilfe für die Märzopfer«, der dazu aufrief, reichsweit parteienübergreifende Rote-Hilfe-Komitees zu gründen. Mit groß angelegten Spendensammlungen und kontinuierlicher Tätigkeit sollten die Arbeiter und Arbeiterinnen, aber auch sympathisierende bürgerliche Kreise den Angriff der Repressionsorgane gemeinsam abwehren.

Enorme Erfolge

Zu den wichtigsten Aufgaben der Rote-Hilfe-Komitees gehörte es, den politischen Gefangenen und ihren Familien mit Bargeld, Lebensmitteln und Kleidung zur Seite zu stehen. Besonders 1921 spielte die Fluchthilfe für die Untergetauchten eine große Rolle. Die Rote Hilfe brachte sie in ruhigere Bezirke und versorgte sie dort mit Essens- und Schlafplätzen. Hinzu kam der Rechtsschutz für die Angeklagten, die einen Anwalt benötigten. Das Zentral- und die Bezirkskomitees koordinierten die Arbeit in den einzelnen Städten und stellten durch einheitliche Unterstützungssätze sicher, dass die vorhandenen Mittel gleichmäßig verteilt wurden.

Gleich in den ersten Wochen konnte die Rote Hilfe enorme Erfolge verbuchen, denn dem internationalen Solidaritätsaufruf folgten Großspenden kommunistischer Parteien unter anderem aus der Sowjetunion, den USA und Frankreich. Auch die Sammlungen in den Wohnblocks, bei Vereinsfeiern, Kundgebungen und Betriebsversammlungen erbrachten hohe Summen; allein im April und Mai 1921 kamen auf diese Weise weit über 400.000 Mark zusammen. Die zeitintensiven Kleinspendenaktionen in den proletarischen Vierteln wurden hauptsächlich von Frauen geschultert. Ein weiteres wichtiges Standbein war die Kassierung in der KPD: Die Parteispitze verpflichtete alle Mitglieder zu Spenden, die durch Rote-Hilfe-Marken in den KPD-Mitgliedsbüchern quittiert wurden.

Dank dieser Einnahmen konnte die Rote Hilfe im Sommer 1921 die betroffenen Ehefrauen wöchentlich mit 60 Mark und Kinder mit 20 Mark unterstützen. Bis Jahresende wurden sieben Millionen Mark Familienhilfe ausgezahlt; hinzu kamen hohe Summen für Gefangene, Untergetauchte und Angeklagte.

Deutlich problematischer erwiesen sich die Bemühungen, ein parteienübergreifendes Bündnis zu schmieden, denn die anfangs beteiligte Kommunistische Arbeiterpartei zog sich im Sommer 1921 aus der gemeinsamen Solidaritätsarbeit zurück. Noch fataler war, dass die beiden sozialdemokratischen Parteien SPD und USPD ihre Mitglieder aufforderten, die Rote Hilfe zu boykottieren.

Als nach einigen Monaten und vor allem durch die Amnestien 1922 die Zahl der Gefangenen sank, ließen die Spendenbereitschaft sowie das Engagement der Rote-Hilfe-Komitees merklich nach. Von Anfang an hatten die Solidaritätsstrukturen mit finanziellen Engpässen zu kämpfen, und die galoppierende Inflation verschärfte die Situation. Zudem wurden die Roten Helferinnen und Helfer ständig kriminalisiert – sei es aufgrund »unerlaubter Sammlungen«, sei es wegen der Unterstützung der Untergetauchten. Hausdurchsuchungen und Verurteilungen behinderten die Arbeit weiter.

Staatliche Verfolgung

Als 1923 neue Repressionswellen einsetzten, die Verhaftungen und Prozesse rapide zunahmen und damit auch die Rote Hilfe vor enormen Kosten stand, waren die Spendenergebnisse der Ortskomitees keine wirkliche Hilfe mehr: Bis zur Abrechnung am Monatsende ließ die Hyperinflation die gesammelten Millionen Papier Mark auf umgerechnet drei-, zwei- und schließlich einstellige Dollarbeträge zusammenschmelzen, entsprechend wertlos waren die astronomisch hohen Unterstützungssätze. Nur dank erneuter Zuschüsse aus dem Ausland, die von der 1922 gegründeten Internationalen Roten Hilfe koordiniert wurden, konnten die Auszahlungen zumindest in Ansätzen weitergeführt werden.

Die staatliche Verfolgung nahm im Herbst 1923 nach dem gescheiterten kommunistischen Aufstand in Hamburg immer weiter zu, und als Ebert den Ausnahmezustand erklärte, wurde die KPD mitsamt den Rote-Hilfe-Komitees verboten. Trotz und gerade wegen der einsetzenden Massenverhaftungen blieb die Rote Hilfe auch im Untergrund tätig. Die chronische Geldknappheit zwang sie jedoch zu neuen Überlegungen. Als am 28. Februar 1924 das Verbot aufgehoben wurde, strebte die Leitung eine Mitgliederorganisation an, um durch regelmäßige Beiträge stabile Einnahmen sicherzustellen. Am 1. Oktober 1924 wurde deshalb die zwar KPD-nahe, aber überparteiliche Rote Hilfe Deutschlands (RHD) gegründet, die sich in kurzer Zeit zu einer der größten proletarischen Massenorganisationen der Weimarer Republik mit mehrheitlich parteilosen Mitgliedern entwickelte und die von vielen Prominenten wie Albert Einstein, Kurt Tucholsky und Käthe Kollwitz unterstützt wurde.

Das Prinzip der Solidarität

Die Rote Hilfe versteht sich auch heute als linke Schutz- und Solidaritätsorganisation.

Im Gefolge der 68er-Bewegung in der Bundesrepublik wurde in den 1970er Jahre der Rote-Hilfe-Gedanke wieder aufgegriffen. Örtliche Gruppen bildeten sich etwa zur Unterstützung von Gefangenen aus den Stadtguerillagruppen RAF und Bewegung 2. Juni. 1975 wurde auf Initiative der maoistischen KPD/ML eine neue Rote Hilfe Deutschlands (RHD) gegründet, die sich als Schutz- und Solidaritätsorganisation außerparlamentarischer Bewegungen wie der Hausbesetzer und der Antiatombewegung engagierte.

Nachdem der Einfluss der Maoisten geschwunden war, wandelte sich die nur noch 600 Mitglieder schwache RHD auf einer Bundesdelegiertenkonferenz 1986 in die noch heute bestehende Rote Hilfe e. V. um. Sie definiert sich laut Satzung als »parteiunabhängige, strömungsübergreifende linke Schutz- und Solidaritätsorganisation«. Ihre Unterstützung gilt allen, die in Deutschland aufgrund ihrer politischen Betätigung, etwa für die Ziele der Arbeiterbewegung, die internationale Solidarität, den antifaschistischen, antisexistischen, antirassistischen, demokratischen und gewerkschaftlichen Kampf sowie den Kampf gegen Antisemitismus, Militarismus und Krieg von Polizei und Justiz verfolgt werden.

Die Rote Hilfe e. V. bietet juristische Beratung an, sie hilft bei der Prozessvorbereitung und trägt auch Anwalts- und Gerichtskosten. Politische Gefangene – etwa Antifaschisten oder türkisch-kurdische Linke – werden unterstützt. Die Organisation betont dabei in ihrer Selbstdarstellung, dass sie »keine karitative Einrichtung« ist. Die Unterstützung für die einzelnen soll zugleich ein Beitrag zur Stärkung der Bewegung insgesamt sein. Alle, die sich am Kampf beteiligen, sollen das in dem Bewusstsein tun können, dass sie auch hinterher, wenn sie Strafverfahren bekommen, nicht alleine dastehen. »Ist es der wichtigste Zweck der staatlichen Verfolgung, diejenigen, die gemeinsam auf die Straße gegangen sind, durch Herausgreifen einzelner voneinander zu isolieren und durch exemplarische Strafen Abschreckung zu bewirken, so stellt die Rote Hilfe dem das Prinzip der Solidarität entgegen und ermutigt damit zum Weiterkämpfen.«

Unter ihrem Dach vereint die Rote Hilfe e. V. heute Anhänger unterschiedlichster Strömungen und Bewegungen – von Antifa über Kommunisten und Linksparteimitglieder bis zu Klimaschützern und Jusos. Dass sich die Organisation trotz der sich daraus ergebenden Reibungen entgegen linker Gewohnheiten nicht selbst zerlegt, ist den Herrschenden ein Dorn im Auge. Dabei ist gerade die Repression – etwa gegen Teilnehmer der Anti-G-20-Proteste in Hamburg oder militante Antifaschisten in Sachsen – die beste Werbung für die Rote Hilfe.

Nachdem das Magazin Focus Ende 2018 behauptete, Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) plane ein Verbot der Roten Hilfe e. V., schlossen sich mehr als 1.000 neue Mitglieder der Solidaritätsorganisation an, die heute bundesweit über 12.000 Mitglieder zählt.

Anmerkungen und Quellen

  • Bambule (Hg.), Das Prinzip Solidarität. Zur Geschichte der Roten Hilfe in der BRD, 2 Bände, Hamburg 2013.
  • Nikolaus Brauns, Einigung des revolutionären Proletariats … in der Roten Hilfe: Rätekommunisten, Syndikalisten, Anarchisten und die Rote Hilfe, in: Mühsam-Magazin 10/2003, 85-193.
  • Nikolaus Brauns, „Kraft wahrer Solidarität“ – Oskar Maria Graf und die Rote Hilfe in München, in: Oskar Maria Graf. Jahrbuch der Oskar Maria Graf Gesellschaft 2008/09, München 2009, 9-69.
  • Nikolaus Brauns, Schafft Rote Hilfe! Geschichte und Aktivitäten der proletarischen Hilfsorganisation für politische Gefangene in Deutschland (1919-1938), Bonn 2003.
  • Siegfried Bresler, Gerlinde Grahn, Christine Hoffmeister, Heinz Werner, Der Barkenhoff. Kinderheim der Roten Hilfe 1923-1932, Worpswede 1991.
  • Sabine Hering/Kurt Schilde (Hg.), Die Rote Hilfe. Die Geschichte der internationalen kommunistischen „Wohlfahrtsorganisation“ und ihrer sozialen Aktivitäten in Deutschland (1921-1941), Opladen 2003.
  • Hartmut Mehringer, Die KPD in Bayern 1919-1945. Vorgeschichte, Verfolgung und Widerstand, in: Martin Broszat/Hartmut Mehringer (Hg.), Die Parteien KPD, SPD, BVP in Verfolgung und Widerstand (Bayern in der NS-Zeit 5), München 1983.
  • Heinz-Jürgen Schneider, Erika Schwarz, Josef Schwarz, Die Rechtsanwälte der Roten Hilfe Deutschlands. Politische Strafverteidiger in der Weimarer Republik, Bonn 2002.
  • Hermann Weber/Andreas Herbst, Deutsche Kommunisten. Ein biographisches Handbuch 1918-1945, Berlin 2004.
  • Johannes Zelt, Proletarischer Internationalismus im Kampf um Sacco und Vanzetti, Berlin 1958.Johannes Zelt, „… und nicht vergessen – die Solidarität!“ Aus der Geschichte der Internationalen Roten Hilfe und der Roten Hilfe Deutschlands, Berlin 1960.
  • Historisches Lexikon Bayerns
  • https://www.rote-hilfe.de/
  • Die Geschichte der Roten Hilfe ist immer auch die Geschichte der linken Solidarität, der Solidarität mit den politisch Verfolgten, der von Repression Betroffenen und der politischen Gefangenen. Sie brauchen damals wie heute eine breite öffentliche Aufmerksamkeit, sind auf finanzielle Unterstützung, aber auch und vor allem auf mentalen Beistand angewiesen. Denn sie sind es, die stellvertretend für alle politischen Aktivist*innen einer besonders schweren Form staatlicher Verfolgung ausgesetzt sind. Getroffen sind einige, gemeint sind wir alle! Dieser Satz hat leider auch nach 100 Jahren nichts an seiner Aktualität verloren. Der Link zum Download der Broschüre von der Roten Hilfe finden Sie hier.
  • Hans-Litten-Archiv e.V.

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