Kaum ein Mensch fordert noch Gedankenfreiheit. Muss ja auch nicht sein – in Deutschland herrscht schließlich Meinungsfreiheit. Die ist von allen Freiheiten die beliebteste Freiheit. Folglich hat jeder deutsche Mensch zu allen Fragen des Lebens eine eigene Meinung. Eine eigene Meinung kann man aber nur haben auf Grund von Wissen.
Wer nichts weiß, muss alles glauben
Also sind Informationen die Grundlage jeder Meinung. Eine Meinungsbildung findet statt, wenn sich die Informationen, denen wir ausgesetzt sind, in unseren Köpfen zu Meinungen zusammenfügen. Da aber jede Information einen bestimmten Zweck verfolgt, ist sie entsprechend manipuliert. Demzufolge haben alle Informationen, die uns erreichen, einen zweifelhaften Wahrheitsgehalt. Und wie viele Informationen uns tagtäglich vorenthalten werden, wissen wir nicht einmal. In Ermangelung einer Alternative gilt die Einschätzung des Soziologen Niklas Luhmann, dass wir das, was wir über die Welt wissen, aus den Medien erfahren, also auch aus den Echokammern der sozialen Netzwerke.
Dass die Medien sich in ihrer Auswahl immer mehr an der Nachfrage der Nutzer orientieren, muss kein Nachteil sein: Die Algorithmen steuern den Informationsprozess so, dass wir einigermaßen entspannt und glücklich existieren können – im festen Glauben, wir seien gut informiert, weil alle Leute um uns herum, die die gleichen Zeitungen lesen, die gleichen Nachrichten hören, dieselben Fernsehsendungen sehen und die gleichen sozialen Medien nutzen, auch keine anderen Informationen haben. Die Leute mit anderer Meinung sind selbstverständlich gefährlich oder doof oder beides, denn sie ziehen aus den gleichen Informationen ständig die falschen Schlüsse. Das Kommunikationsaufkommem der Gesellschaft – hochdeutsch: Community – enthält also vor allem Public Trash und Meinungs-Schrott, ein zänkisches oder sogar explosives Gemisch von dummen und angstgesteuerten Glaubensbekundungen.
Die Gedankenfreiheit, die der Marquis von Posa in Schillers „Don Carlos“ vom spanischen König fordert, setzt voraus, dass es Menschen mit unabhängigen Gedanken gibt. Unsere Meinungsfreiheit kann er also wohl kaum gemeint haben – schließlich heißt es im Volkslied ja auch „Die Gedanken sind frei“, und sogar permanent besoffene Burschenschafter singen beim Kommers nicht „Die Meinungen sind frei“…