Vor 75 Jahren vereinbarten Wehrmacht und SS für den Überfall auf die UdSSR den Einsatz besonderer Verbände. Gemeinsam sollten Kommunisten, »staatstragende« Sowjetbürger und Juden vernichtet werden. Reinhard Heydrich, Chef des Reichssicherheitshauptamtes, erstattete Göring Rapport und hatte nach mehreren Beratungen ein Konzept zur Koordinierung der Kriegsverbrechen von Wehrmacht, SS und SD erarbeitet.
In einem nur wenige Monate dauernden Feldzug war es der Wehrmacht im Frühjahr 1940 gelungen, die Benelux-Staaten und große Teile Frankreichs zu besetzen. Die deutsche Führung glaubte, dass mit der Kapitulation des großen Nachbarlandes am 22. Juni der Krieg im Westen beendet sei. Man rechnete damit, Großbritannien werde die Kampfhandlungen einstellen und zu einem Agreement mit Nazideutschland bereit sein.
Die »Blitzsiege« im Westen hatten das Kräfteverhältnis gravierend zugunsten Hitlerdeutschlands verändert: Die britischen Truppen waren vom europäischen Festland vertrieben. Die Deutschen konnten auf die landwirtschaftliche und industrielle Produktion, die hochqualifizierten Arbeitskräfte und die rüstungswichtigen Rohstoffressourcen der besetzten Staaten zugreifen. Außerdem hatten sie über den »Erwerb« großer Aktienpakete Zugang zu wichtigen Industrie- und Bergbaufirmen in noch nicht unterworfenen Ländern.
Die Herrschenden in Deutschland steigerten sich in einen kollektiven chauvinistischen Rausch. Im Wehrmachtsbericht vom 25. Juni heißt es: »Der Feldzug in Frankreich hat (…) mit einem unvergleichlichen Sieg der deutschen Waffen geendet«. Das Zentralorgan der NSDAP, der Völkische Beobachter, tönte am gleichen Tag, der Erfolg werde »in die Geschichte eingehen als der glorreichste Sieg aller Zeiten«.
Viele Deutsche konnten sich der frenetischen Propaganda nicht entziehen. Sie waren aber auch darüber erleichtert, dass der Westfeldzug im Gegensatz zu dem lang andauernden Ersten Weltkrieg mit Millionen Toten, der in einer Niederlage gegen den gleichen Gegner endete, so schnell und mit relativ geringen Opfern erfolgreich abgeschlossen worden war. Wahrscheinlich erfuhr das Naziregime in dieser Zeit die größte Zustimmung in der Bevölkerung. Man hoffte, dass Friede sein werde.
Dramatische Wende
Inzwischen hatte die Führung eine dramatische Umorientierung ihrer Politik eingeleitet. Man begann, einen baldigen Angriff auf die Sowjetunion vorzubereiten. In dieser Frage gab es anders als bei der Vorbereitung des Westfeldzugs innerhalb der herrschenden Klasse, vor allem in der Militärkaste, kaum vernehmbare Opposition, sondern aus Überzeugung dienstbeflissene Mitwirkung. Das resultierte vor allem aus einer starken Interessenidentität. Die Naziführung und die sogenannten konservativen Eliten trafen sich ideologisch sowohl im Antimarxismus bzw. Antikommunismus als auch im Antisemitismus. Das gemeinsame Ziel war, die Sowjetunion als alternatives Gesellschaftsmodell zum Kapitalismus sowie als staatliche Basis des Weltsozialismus zu zerschlagen und ein riesiges deutsches Ostreich als Grundlage imperialistischer Weltmachtpolitik zu erobern.
Ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt für die Zustimmung der führenden Vertreter aller Fraktionen der herrschenden Klasse war der scheinbar günstige Zeitpunkt. Die »Blitzsiege« in Polen und im Westen hätten, so die allgemeine Meinung, die materielle Basis für einen »Ostfeldzug« beträchtlich verbessert und die »überragende« Schlagkraft der Wehrmacht demonstriert. Außerdem habe man einen Rüstungsvorsprung, der im Laufe der Jahre aber dahinschmelzen könne.
Die Erfolge im Westen führten zu einer irrationalen Überbewertung der eigenen militärischen Kräfte und Fähigkeiten. Die Wehrmacht sei jedem Gegner gewachsen, so die weit verbreitete Auffassung, die auch in den Führungskreisen geteilt wurde. In den Richtlinien des Oberbefehlshabers des Heeres für die Erziehungsarbeit im Ausbildungsjahr 1941 heißt es, »Führer und Mann« sollen durchdrungen sein »von dem Vertrauen auf die Überlegenheit des deutschen Soldaten über jeden Gegner«. Schließlich habe man, so das Argument für diesen unglaublichen Hochmut, entgegen den Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg binnen weniger Wochen mit der französischen Armee die stärkste Landstreitmacht des Kontinents, dazu ein kampfstarkes britisches Expeditionskorps sowie die Armeen Norwegens, Dänemarks, der Niederlande und Belgiens besiegt.
In bezug auf den geplanten Krieg gegen die Sowjetunion ging die Überbewertung der eigenen Kräfte und Fähigkeiten mit einer gravierenden Unterschätzung der sowjetischen Streitkräfte einher. Diese waren in der Vorstellung der Generalität kein ernstzunehmender militärischer Gegner. Die Stalinschen Säuberungen zwischen 1936 und 1938 hätten die Rote Armee »enthauptet«, sie sei ein »Koloss ohne Kopf« und schlecht gerüstet, sagte Hitler am 9. Januar 1941. In die Beurteilung flossen auch rassistische Wertungen ein. Den »slawischen Untermenschen« seien die »Germanen« kulturell-zivilisatorisch und hinsichtlich der technisch-organisatorischen Fähigkeiten weit überlegen. Eine Äußerung Hitlers nur wenige Tage nach der Kapitulation Frankreichs gibt die Grundstimmung in der herrschenden Klasse wieder. Am 29. Juni 1940 sagte er in seinem Hauptquartier nahe dem französischen Städtchen Sedan zum Chef des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW), Wilhelm Keitel: »Jetzt haben wir gezeigt, wozu wir fähig sind. Glauben Sie mir, Keitel, ein Feldzug gegen Russland wäre dagegen nur ein Sandkastenspiel«.
»Rücksichtslose« Tötung
Als am 14. Juni Paris gefallen war, begannen führende Militärs um den Generalstabschef des Heeres, Franz Halder, mit den Planungen für einen Überfall auf die Sowjetunion. Nur ein kurzer, ein »Blitzkrieg« sollte es werden. Halder veranschlagte, das sozialistische Land mit seinen damals rund 190 Millionen Einwohnern sei in etwa acht bis zehn Wochen »niedergeworfen«. Am 31. Juli wurde festgelegt, den Angriff im Mai oder Juni 1941 zu beginnen. Diese Entscheidung fiel unter der Prämisse, dass es mit Großbritannien bald zu einem Agreement kommen werde, um einem Zweifrontenkrieg zu entgehen.
Da die Londoner Regierung trotz deutschem Bombenterror, Invasionsdrohungen, heuchlerischen Friedensangeboten und Kriegen an der Peripherie des Empire mehrfach erklärte, bis zum Sieg über den deutschen Faschismus weiterzukämpfen, traf die deutsche Führung eine der abenteuerlichsten Entscheidungen im Zweiten Weltkrieg. Ende Oktober/Anfang November fasste sie den Entschluss, »auch vor Beendigung des Krieges gegen England Sowjetrussland in einem schnellen Feldzug niederzuwerfen«, wie es in der endgültigen »Weisung Nr. 21 (Fall Barbarossa)« des OKW vom 18. Dezember 1940 hieß. Die deutsche Führung nahm damit einen Mehrfrontenkrieg in Kauf.
In der »Barbarossa«-Weisung wurde der Wehrmacht befohlen, bis zum Einbruch des Winters 1941 eine Linie zu erreichen, die 400 Kilometer östlich von Moskau von Archangelsk am Weißen Meer bis zur Wolgamündung am Kaspischen Meer verlief. Damit wäre der europäische Teil der Sowjetunion bis zum Ural und der Kaukasus unter deutsche Herrschaft geraten. Dieser Bereich sollte Kerngebiet des deutschen Ostimperiums werden, das »rassisch« und politisch zu säubern und bevölkerungspolitisch neu zu ordnen sei.
Über die Ostexpansion und die Behandlung der Slawen hatte Hitler schon in seinem ersten Gespräch mit der Wehrmachtsspitze am 3. Februar 1933, drei Tage nach seiner Ernennung zum Reichskanzler, konkrete Vorstellungen entwickelt. Nach der Bemerkung, dass neuer Lebensraum im Osten erkämpft werden müsse, sagte er zum Umgang mit den dort lebenden Menschen: Aus »rassischen« Gründen sei »eine Germanisierung der Bevölkerung (…) nicht möglich«. Deshalb wäre deren, so wörtlich, »rücksichtslose« Dezimierung um »einige Millionen Menschen« in dem »mit bewaffneter Hand« gewonnenen Raum erforderlich (siehe jW-Thema vom 1.2.2013). Vor dem Überfall am 22. Juni 1941 rechnete man damit, dass mehr als 30 Millionen »Slawen« aus diesen Gebieten zu verschwinden hätten. Das sei erforderlich, so die Begründung der Verantwortlichen in Berlin, weil Land für die Besiedlung mit »Germanen« sowie die Lebensmittelvorräte und -produktion aus diesen Gebieten gebraucht würden. Ein über vier Millionen Mann starkes Invasionsheer und ein voluminöser Besatzungsapparat sollten aus dem Land verpflegt und zusätzlich große Mengen an Nahrungsmitteln von dort nach Deutschland gebracht werden. Bei dem Überfall gehe es »um die sofortige und höchstmögliche Ausnutzung« des eroberten Raumes. »So viel wie möglich Lebensmittel und Mineralöl für Deutschland zu gewinnen« sei »das Hauptziel der Aktion«, heißt es in den geheimen Richtlinien. Dazu wollte man auch den »Eigenverbrauch« der sowjetischen Bevölkerung drastisch reduzieren, das Gros der Kriegsgefangenen und die Menschen in einigen Gebieten sogar überhaupt nicht versorgen. Die Folgen wurden auf einer Staatssekretärsberatung am 2. Mai 1941 und in Richtlinien für die Besatzungsbehörden beschrieben: »Zigmillionen Menschen« würden »verhungern«; besonders in Moskau, Leningrad und anderen Städten sowie in der gesamten Waldzone käme es zum »Absterben (…) eines großen Teils der Menschen«.
Die Wehrmacht war angewiesen, sich schon beim Vormarsch aus dem Land zu versorgen, um unabhängig vom eigenen Nachschub über die immer ausgedehnteren Transportwege zu sein. Den Menschen auch das letzte Stück Vieh und den letzten Sack Getreide zu rauben, um das Marschtempo zu halten, wurde zur operativen Aufgabe. Weil der Nachschub im Winter 1941 völlig zusammenbrach, sollten »Gefangene und Einwohner rücksichtslos von Winterbekleidung entblößt« werden – bei Temperaturen von minus 35 Grad ein Todesurteil.
Die deutsche Führung ging davon aus, dass man die Funktionsträger würde gezielt töten müssen, um die Sowjetunion endgültig zerschlagen und sich die Beute sichern zu können. Zu den »Systemnahen« zählten die Nazis alle Mitglieder der KPdSU und deren Jugendverbands Komsomol, die Angestellten des sowjetischen Staats von der Kindergärtnerin bis zum Minister, die Angehörigen der Intelligenz sowie leitendes Wirtschaftspersonal. Die deutschen Faschisten vergrößerten den Kreis der »Systemträger« und der damit zu ermordenden Menschen erheblich durch die Behauptung, die »Juden« und der »Bolschewismus« seien eine Symbiose eingegangen. Nicht zuletzt deshalb sollten alle Juden umgebracht werden. Der »jüdische Bolschewismus« sei eine »ungeheure Gefahr für die Zukunft«, so Hitler auf einer Generalsversammlung am 30. März 1941.
Verbrecherische Mittel
Die deutsche Führung war der Auffassung, der gigantische Raubkrieg müsse von Anfang an auch als rassenbiologischer und antikommunistischer »Vernichtungskampf« geführt werden. Wenige Wochen vor dem Überfall äußerte Hitler gegenüber Hermann Göring, dem zweiten Mann in der Nazihierarchie, zur »Befriedung« der besetzten Gebiete und zur Gewährleistung von deren maximaler Ausnutzung sei es notwendig, den Kommunismus durch Beseitigung aller Funktionäre »aus(zu)rotten«. Die gewaltigen Dezimierungsprogramme ergäben sich, wie es in den entscheidenden OKW-Richtlinien vom 13. März 1941 heißt, »aus dem endgültig auszutragenden Kampf zweier entgegengesetzter politischer Systeme«. Deshalb sollten spezielle SS-Kommandos, die »Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes«, zusammen mit der Wehrmacht in die Sowjetunion einfallen.
Um die Zusammenarbeit und die Abgrenzung der Kompetenzen bei der »Vernichtung der jüdisch-bolschewistischen Weltanschauung« durch Liquidierung ihrer »Träger« vom ersten Tag des Krieges an zu regeln, trafen sich ab 13. März 1941 der Generalquartiermeister des Heeres, Eduard Wagner, und der Chef des Reichssicherheitshauptamtes, Reinhard Heydrich, zu mehreren Beratungen. Am 26. März wurde ein Befehlsentwurf als Ergebnis dieser Gespräche vorgelegt, der den Titel trug »Regelung des Einsatzes der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes im Verbande des Heeres«. Aufgabe der Einsatzgruppen war danach die »Erforschung und Bekämpfung der staats- und reichsfeindlichen Bestrebungen« sowie die »Sicherstellung« von »Emigranten, Saboteure(n), Terroristen usw.«. Die SS sollte im frontnahen Bereich und im weiter »hinten« gelegenen rückwärtigen Gebiet des Heeres »in eigener Verantwortung gegenüber der Zivilbevölkerung Exekutivmaßnahmen« durchführen. Sie erhalte »ihre fachlichen Weisungen vom Chef der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes«, heißt es in dem Papier, war aber angewiesen, die »fachlichen« Befehle, u. a. darüber, welche »Feindgruppen« zu liquidieren seien, vor deren Vollzug der Wehrmacht zur Kenntnis zu geben. Die Truppen Heydrichs wurden in dem Befehlsentwurf »zu engster Zusammenarbeit« mit der Wehrmacht, insbesondere deren speziellen Unterdrückungs- und Spitzelorganen Abwehr und Geheime Feldpolizei, »verpflichtet«. Außerdem waren sie »hinsichtlich Marsch, Unterkunft und Versorgung« dem Heer »unterstellt«. Der militärische Befehlshaber war gegenüber den SS-Gruppen weisungsberechtigt.
Als die Verhandlungen über das Papier zum Monatsende weitgehend abgeschlossen waren, wurde Heydrich am 26. März zum Rapport zu Göring bestellt. In dem Gespräch ging es auch um Fragen, die für den Einsatz der SS-Gruppen »im Verbande des Heeres« von großer Bedeutung waren. Heydrich hatte von Göring den Befehl erhalten, einen Plan zur »Lösung der Judenfrage« zu erarbeiten. Die Nazis waren offensichtlich schon in einem sehr frühen Stadium der Vorbereitung des Überfalls auf die Sowjetunion zur Tötung aller Juden entschlossen. Der vorgelegte »Endlösungsplan« wurde von Göring gebilligt. Heydrich erhielt den Auftrag, für die Wehrmacht »bei einem Einsatz in Russland«, wie er notierte, »eine ganz kurze 3–4seitige Unterrichtung« zu erarbeiten, die »die Truppe mitbekommen könne«. Er sollte, so Heydrich weiter, »die Gefährlichkeit der GPU-Organisation [die Geheimpolizei der UdSSR, Vorläuferin des KGB; jW], der Politkommissare, Juden usw.« beschreiben, damit die Soldaten »wissen, wen sie praktisch an die Wand zu stellen habe(n)«.
Wie Berichte der Einsatzgruppen und von Wehrmachtseinheiten zeigen, verlief die Zusammenarbeit gemäß den im März 1941 erarbeiteten »Richtlinien« seit Beginn der Aggression ziemlich reibungslos. So wurden beispielsweise die Sowjetsoldaten, die in Kriegsgefangenschaft geraten waren, von der Wehrmacht »rassisch« und politisch »selektiert«. Die Lagerkommandanten forderten dann ein Kommando der Einsatzgruppe zur Erschießung der Ausgesonderten an. Auch beim Vollzug des sogenannten Kommissarbefehls, der die sofortige Ermordung aller Politoffiziere der Sowjetarmee und solcher Zivilisten, die man als Kommissare ansah, vorschrieb, arbeiteten Heer und SS zusammen. Ein drastisches Beispiel der engen Kooperation ist aus Minsk überliefert. Als am 28. Juni die Truppen der 4. Armee unter Generalfeldmarschall Günther von Kluge die Stadt einnahmen, errichteten sie ein riesiges Lager, in dem gefangene Sowjetsoldaten und männliche Zivilisten der Stadt –insgesamt etwa 40.000 Personen – unter katastrophalen Bedingungen inhaftiert wurden. Die Insassen erhielten wochenlang keine Nahrung und kein Wasser. Der Feldmarschall beauftragte die ihm unterstellte Geheime Feldpolizei und die in seinem Bereich tätige Einsatzgruppe B mit der Selektion der Häftlinge. Danach wurden etwa 10.000 Häftlinge meist von der Einsatzgruppe erschossen.
Das Zusammenwirken erstreckte sich auch auf Massentötungen von Juden, Roma »Asozialen«, Behinderten und Soldatinnen der Roten Armee. In einer zentralen Information der SS über die vier Einsatzgruppen in der Sowjetunion (»Ereignismeldung UdSSR«), die den hunderttausendfachen Mord an Kommunisten, »staatsnahen« Sowjetbürgern, Juden und anderen »unerwünschten« Menschen auflistet, heißt es: »Das Verhältnis zur Wehrmacht ist nach wie vor ohne jede Trübung«.
Die Zusammenarbeit funktionierte auch deshalb so gut, weil die von Göring definierten »Feindgruppen«, die die Truppe »an die Wand zu stellen habe«, zum Feindbild auch der deutschen Militärführung gehörten. Am 19. Mai 1941 erließ das OKW an alle Soldaten des zum Angriff bereitgestellten Heeres einen Befehl mit dem Titel »Richtlinien für das Verhalten der Truppe in Russland«. Darin wird »der Bolschewismus« als »Todfeind des (…) deutschen Volkes« bezeichnet. »Dieser zersetzenden Weltanschauung und ihren Trägern« gelte der Kampf. Den Soldaten wurde »rücksichtsloses (…) Durchgreifen gegen bolschewistische Hetzer, Freischärler, Saboteure, Juden« befohlen. Hitlers »Lieblingsgeneral« im Osten, Erich von Manstein, ordnete als Oberbefehlshaber der 11. Armee am 20. November 1941 an: »Das jüdisch-bolschewistische System muss ein für allemal ausgerottet werden.« (Manstein, war zwischen 1953 und 1960 inoffizieller Berater der Bundesregierung beim Aufbau der Bundeswehr.) Die Berichte der Armeeinheiten belegen, dass die Befehle weitgehend befolgt wurden. So meldete die in Belorussland stationierte 707. Infanteriedivision für die Zeit vom 1. Oktober bis 10. November 1941: »Da sie (die Juden, M. S.) nach wie vor mit den Kommunisten und Partisanen gemeinsame Sache machen, wird die restlose Ausmerzung dieses volksfremden Elements durchgeführt«. Innerhalb eines Monats seien 10.431 Erschießungen erfolgt.
BRD-Mythos
Das Heydrich-Wagner-Abkommen, für den Überfall auf die Sowjetunion erarbeitet, kam Anfang April 1941 unverhofft bei einer anderen Aggression zum Tragen. Am 27. März 1941 stürzte eine von Großbritannien unterstützte antifaschistische Massenbewegung die nazifreundliche jugoslawische Regierung. Daraufhin beschloss die deutsche Führung, Jugoslawien am 6. April zu überfallen. Am gleichen Tag begann auch die seit längerem geplante Aggression gegen Griechenland (siehe jW-Thema vom 14.12.2015). Mit der Wehrmacht fielen je eine »Einsatzgruppe der Sicherheitspolizei und des SD« in die Länder ein. Grundlage der Zusammenarbeit und Kompetenzabgrenzung zwischen SS und Wehrmacht bildete das Heydrich-Wagner-Abkommen. Generalstabschef Halder erhob am 4. April das Papier zu einem förmlichen Befehl. Zu den zu bekämpfenden »Feindgruppen« zählte er »Emigranten, Saboteure, Terroristen, Kommunisten und Juden«.
Einer der Mythen der Bundesrepublik, der sich jahrzehntelang hielt, war der von der »sauberen Wehrmacht«, den, wie die Berliner Zeitung am 18. Februar 1999 berichtete, auch noch zu dieser Zeit ein »wesentlicher Teil« der Offiziere der Bundeswehr »pflegte«. Die Legende war Grundlage für die massenhafte Wiederverwendung auch schwerstbelasteter Wehrmachtsoffiziere in der Bundeswehr und ideologische Basis für die Traditionspflege. Das Heydrich-Wagner-Abkommen ist dagegen ein wichtiges Dokument, um die Rolle der Wehrmacht aufzuhellen: Die Naziarmee war nicht nur die Hauptkraft des Raub- und Eroberungskrieges. Sowohl allein als auch im Bunde mit der SS hatte sie erheblichen Anteil an der Ermordung von Millionen Sowjetbürgern in ihrem von rassistischem Wahn getriebenen »Weltanschauungskampf«.
Anmerkungen und Quellen
»Barbarossa« – Raubkrieg im Osten. Mit Beiträgen von Dietrich Eichholtz, Hannes Heer, Kurt Pätzold, Martin Seckendorf u. a. Verlag 8. Mai
Arbeiteten auf der Grundlage eines speziellen Abkommens »reibungslos« zusammen. Ein Wehrmachtsoffizier erschießt im April 1941 Geiseln im jugoslawischen Pancevo, ein SS-Offizier sekundierte.
jW Ausgabe vom 31.03.2016