Geschichte der Kommune

Klassensolidarität von oben

Die in den Kämpfen der Pariser Kommune geborene Hymne der Internationale vermittelt bis heute, dass es nicht nur um den Aufbruch einer großen Stadt in eine dem Gemeinwohl verpflichtete Zukunft ging, sondern um den versuchten Auftakt proletarischer Machtergreifung in ganz Europa, ja der ganzen Welt. Neben Franzosen kämpften auch Vertreter vieler anderer europäischer Nationen: Italiener, Belgier, Luxemburger, Schweizer, Spanier, Russen, Rumänen, Polen, Ungarn. Das Ziel der Umgestaltung der Welt zugunsten der arbeitenden Mehrheiten ist geblieben, der Weg dahin erwies sich als unendlich viel schwieriger als gedacht. Die Kommune wurde, wie Marx schrieb, »nach dem gewaltigsten Krieg der neuern Zeit« niedergerungen – im Zusammenspiel der deutschen Armee und des besiegten französischen Heeres, obwohl sich die Soldaten noch in den Schützengräben gegenüberlagen. Schnell hatten sich die Bourgeoisien beider Länder verbündet – »zum gemeinsamen Abschlachten des Proletariats«.¹

Auch der europäische Adel hatte sich immer wieder um Teile des Kontinents Kriege geliefert, es aber ebenfalls verstanden, sich rasch wieder zu versöhnen. Die alle Teile Europas verflechtende Heiratspolitik verdeutlicht, dass das Hauptziel immer der Erhalt der Klassenherrschaft war, so sehr den Völkern auch nationale Motive vorgegaukelt wurden. Und die das Erbe des Adels antretende Bourgeoisie übernahm diese Fähigkeit. Ein eindrückliches Beispiel dafür ist die Niederschlagung der Pariser Kommune.

Bürgerliche Hegemonie

Die Organisationskraft der allein von ihrer Arbeitskraft lebenden Mehrheiten reicht bis heute nicht aus, um eine dauerhafte Gegenhegemonie zu errichten. Der Niederlage der Kommune folgten noch wesentlich dramatischere Niederlagen: das vorläufige Ende des europäischen Sozialismus und der Ausbau der unsozialen Europäischen Union. Auch sie beruht auf der Fähigkeit der Bourgeoisie, supranationale Bündnisse zu schließen und gleichzeitig hart zu konkurrieren. Eine Gegenhegemonie mit dem Ziel, dass sich die Menschheit aus der Tretmühle der Konkurrenz befreit, muss an einer internationalen Bewegung arbeiten, die umfassende Solidarität entwickelt und innere Spaltungen überwindet.

Hervorzuheben ist die solidarische Haltung der damaligen Sozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (SDAP). In vielen deutschen Städten kam es während der 72 Tage der Kommune zu Solidaritätskundgebungen: in Berlin, Bremen, Dresden, Elberfeld, Essen, Glauchau, Hamburg, Hannover, Köln, Leipzig, Mainz und Meerane. In Chemnitz nahmen an der bislang größten von der SDAP einberufenen Demonstration fast 20.000 Menschen teil. Bestärkt von der Sozialgesetzgebung der Kommune, forderten sie den Zehn-Stunden-Normalarbeitstag.²

Die deutschen Sozialisten und auch die Internationale Arbeiterassoziation hatten ihre solidarischen Vorstellungen eines künftigen Europas also durchaus öffentlich präsentiert.

Dagegen übte sich das siegestrunkene deutsche Bürgertum vor der Öffentlichkeit in überschäumendem Nationalismus und meinte, mit seinem frisch gekrönten Kaiser ein solideres System errichtet zu haben, als es die aus der Kriegsniederlage geborene III. Französische Republik war, deren Regierung aus Paris nach Versailles fliehen musste. Nur in den Berliner Hinterzimmern der Macht ging es nicht allein um das Auskosten des Siegs über Frankreich und die Sicherstellung der Kriegsbeute. Mit welch zynischer Kälte man hier auf die Gefahr reagierte, dass von der Pariser Erhebung ein gefährlicher Funken auf die deutsche Arbeiterklasse überspringen könnte, zeigt eine Publikation des Stabsoffiziers Albert von Holleben, der beim in Saint-Denis stationierten Oberkommando der III. Armee tätig war. 1897 veröffentlichte er Teile des Briefwechsels zwischen dem Oberkommando und der Befehlszentrale in Berlin sowie eigene Aufzeichnungen mit dem Ziel, »auch unsere damaligen Gegner darüber aktenmäßig aufzuklären, in welch loyaler Weise wir die Interessen der Regierung der Versailler vor Paris stets vertreten haben«.³

Wie fest die europäische Perspektive bereits am 17. April – also einen Monat nach der Installierung der Kommune – gegenüber dem deutsch-französischen Zwist in den Blick genommen wurde, offenbart ein Brief des Oberkommandierenden der III. Armee, Kronprinz Albert von Sachsen, aus Compiègne an Generalstabschef Helmuth von Moltke nach Berlin: »Es lässt sich nicht leugnen, dass die ganze Sache, wenn sie anhält, für ganz Europa die größten Gefahren birgt und dass es wichtig wäre, schnell damit zu Rande zu kommen.« Er schloss die Frage an, »ob wir nicht der Sache förderlich sein könnten«. Realiter war man der »Sache« bereits sehr förderlich gewesen. Albert ging es darum, das deutsche Engagement entscheidend zu verstärken. Berlin legte jedoch politisches Feingefühl an den Tag: So lange als möglich sollte der Schein eines nationalen, innerfranzösischen Konflikts gewahrt bleiben.

Druck aus Berlin

Adolphe Thièrs, der Staatspräsident der wenige Monate zuvor aus der Not geborenen III. Republik, hatte schon am 4. März – also zwölf Tage, bevor die Kommune proklamiert wurde – seinen Außenminister ins deutsche Hauptquartier geschickt. Jules Favre erbat den Transfer einer hinter der Loire liegenden Truppe von 30.000 Mann zum Versailler Heer, was gegen die Vereinbarungen des Waffenstillstands verstieß, aber prompt gewährt wurde. Denn es ging darum, 227 Kanonen unter Kontrolle der Regierungsarmee zu bringen. Für den Bau der Kanonen waren von den Parisern Subskriptionen erhoben worden, und die von der katastrophalen Verteidigungsleistung zutiefst enttäuschte Bevölkerung hatte sie zur Selbstverteidigung beschlagnahmt.

Das Misslingen des ›Kanonenputschs‹ am 18. März besiegelte den Beginn der Regierung der Kommune. Das deutsche Oberkommando zog sofort die Belagerung von Paris enger. Doch am 21. März teilte man dem unbekannten »jeweiligen Kommandanten« von Paris »ergebenst« mit, dass »die deutschen Truppen sich gegen Paris auch fernerhin friedlich und völlig passiv« verhalten würden, solange der vorläufige Friedensvertrag respektiert werde. Am nächsten Tag befahl jedoch der Kaiser über Graf Moltke, Paris mit Artilleriefeuer zu beschießen, sobald auf dem Befestigungsring Waffen auftauchten.

Nach Holleben war die Versailler Regierung damals überzeugt, dass der Aufstand nicht »stehenbleiben, sondern dass man gegen Versailles marschieren werde, was am 19. März Aussicht auf Gelingen hatte, welche am 2. April (…) nicht mehr vorhanden war.« Thièrs sagte später aus, dass ihm in diesen schrecklichsten Tagen seines Lebens nur die Kapitulation geblieben sei. Er befehligte nur noch 22.690 Mann, darunter 5.000 Gendarmen, die demoralisiert, desorganisiert und zum Teil verdächtig waren, zur Kommune überzulaufen. Daher ließ er die Truppen streng gegen Infiltration isolieren, d. h. mit Feuergewalt von der Außenwelt abschirmen. Die Soldaten wurden jedoch sehr gut behandelt, erhielten erhöhte Rationen, besonders an Fleisch. Die Offiziere mussten gemeinsam mit ihren Truppen kampieren. Unzuverlässige wurden entlassen.

Dass das französische Heer im Mai wieder 130.000 Mann umfassen sollte, ging auf die Bereitschaft Berlins zurück, rasch Kriegsgefangene zurückzuführen. Schon in Deutschland wurde versucht, möglichst nur Soldaten für die Heimkehr auszuwählen, die außer Verdacht standen, fahnenflüchtig zu werden. Der sozialdemokratische Volksstaat berichtete, dass im »Einverständnis mit der Versailler Regierung« nur die zurückgeführt wurden, von deren »blindem, maschinenmäßigen Gehorsam« man überzeugt gewesen sei. Dennoch kam es zu unliebsamen Zwischenfällen. Als »ein mehrere tausend Franzosen enthaltender Truppenzug die Stadt (…) passierte, wurden aus allen Waggonfenstern dem zuschauenden, meist aus Arbeitern bestehenden Publikum Zettel zugeworfen mit den Worten: ›Es lebe die Republik! Nieder mit den Königen und Kaisern, auf dass es keine Kriege mehr gebe und die Völker als Brüder leben! Es lebe die Kommune! Es lebe die Menschheit!‹« Die Franzosen hätten auch »durch gebrochene Worte und ausdrucksvolle Gesten« versucht, den Deutschen »ihre Begeisterung für die Republik und die Kommune und ihren Hass gegen Bonaparte und die Monarchie überhaupt auszudrücken. Wir nennen weder Ort noch Zeit, um die betreffenden Soldaten nicht der Rachsucht des Versailler Ordnungsgesindels zu überliefern.« Die Zeitung verbürgte sich aber für diesen und ähnliche Vorfälle an anderen Orten.⁴

Aus lebhafter Sorge, dass die revolutionäre Stimmung der französischen Kriegsgefangenen auf die eigene Arbeiterschaft überspringen könne, drängte Berlin auf die rasche Niederschlagung der Kommune. Schon am 24. März hatte Bismarck seinem Stellvertreter in Frankreich, dem sächsischen General Alfred von Fabrice telegrafiert, die Truppen von Versailles nur dann weiter aufzustocken, wenn »die französische Regierung die Verpflichtung übernimmt, in kürzester Frist nach Zusammenziehung der mit uns zu vereinbarenden Maximalstärke von Truppen, also etwa drei Tage nachher, die Feindseligkeiten gegen Paris energisch zu eröffnen«.

Erzwungene Kooperation

Thièrs widersetzte sich zunächst jedweder Kon­trolle der Truppenverlegungen – bis Berlin drohte, die ganze französische Armee aufzulösen. Von Holleben zitierte ein Protokoll von Verhandlungen am 27. März in Rouen, wonach die französische Seite ihr Ehrenwort gab, zugestandene Truppen »ausschließlich nur zur Wiedereinnahme von Paris und Niederwerfung des dortigen Aufstandes sowie zum Schutze von Regierung und Nationalversammlung in Versailles« zu verwenden. Kaiser Wilhelm wiederum forderte erneut, dass die französische Regierung »tunlichst bald und mit aller Kraft den Angriff auf Paris beginne, weil eine Fortdauer des gegenwärtigen Zustandes die deutschen Interessen gefährden könne«.

Diese deutschen Interessen benannte Moltke in einem Brief vom 4. April 1871 an Prinz Alberts Generalstabschef Ludwig von Schlotheim deutlich: Berlin wünsche ausdrücklich, dass die Nationalversammlung »für uns das offizielle Frankreich und die Regierung, mit welcher wir den Preliminarfrieden geschlossen, auch am Ruder bleibt und nicht durch eine andere verdrängt wird. (…) Die Erneuerung des Krieges um des Geldes willen können wir nicht wünschen. Die bereits besetzten Landstriche sind mehr oder weniger schon erschöpft. Auch bei Okkupation neuer Departements unter dauernder Pfandnahme einer Provinz (…) werden wir unsere Rechnung nicht finden. Die Umwälzungen, welche in Frankreich chronisch geworden sind, würden uns zwingen, fortwährend gerüstet zu bleiben, und selbst in einer langen Reihe von Jahren vermöchten wir nicht, Milliarden herauszuwirtschaften. Unsere Forderung ist so groß, dass ganz Frankreich sie nur aufbringen kann, indem es seine Zukunft engagiert. (…) Solange die französische Regierung Paris nicht unterworfen hat, kann sie ein Ansehen im Lande nicht gewinnen; es fehlt ihr der finanzielle Kredit, ohne welchen die kolossalen Zahlungen nicht zu leisten sind.«

Am 30. März zitierte von Holleben einen Brief des bei der deutschen Garnison stationierten Generals Alexander von Pape an seine Berliner Verwandtschaft: Er versicherte, dass es keinen Abzug der deutschen Truppen geben werde, ehe Frankreich nicht »500 Millionen« gezahlt habe. Das störe bestimmte Franzosen überhaupt nicht: »Die anständigen Franzosen hier in der Umgebung sind ganz glücklich, dass wir da sind; ohne dies, meinen sie, würde es drunter und drüber gehen. Saint-Denis selbst ist das schlimmste Nest, nichts als Arbeiterbevölkerung, wie die Pariser Vorstädte. Wir halten sie aber mit eiserner Faust nieder.«

Trotz erheblicher Bedenken, dass sie gemeinsame Sache mit den Aufständischen machen würden, genehmigte Moltke Versailles weitere Soldaten, damit es »so bald wie möglich zur Aktion« komme. Deutsche Truppen sollten nur notfalls eingreifen, »in die eigentliche Stadt mögen die Franzosen selbst einrücken und den Straßen- und Barrikadenkampf durchführen.« Schlotheim antwortete am 8. April, dass der Kampf um Paris am 2. April begonnen habe, aber »ohne nennenswerte Resultate« verlaufe. »Immerhin ist es gut, dass die Versailler Truppen sich schlagen; je länger sie das tun und je mehr Blut geflossen ist, um so weniger ist ihr Übertritt zu den Aufständischen zu befürchten.« Sollte sich ein Misserfolg andeuten, müsse die deutsche Einkreisung verschärft und Paris ausgehungert werden. Und Prinz Albert schlug vor, »die Abschließung auf unsere Hand« auszuführen. »Etwaige Übergebungsanträge würden aber dann wohl nur nach Versailles zu verweisen sein, da es doch nicht in der Absicht liegt, Paris zu besetzen und für Herrn Thièrs den Gendarmen zu spielen.« Moltke antwortete: »Nichts wäre natürlicher, als Paris von beiden Seiten abzusperren«, was man seit Wochen Versailles vorschlage. Dort aber wolle man das den Deutschen aufbürden. Thièrs und Favre würden gern öffentlich »über die Vergewaltigung der deutschen Barbaren wehklagen und als Wohltäter von Paris die Verbindung nach Süden freigeben«. Erneut sei zu drohen, keine Kriegsgefangenen zur Verstärkung der Versailler Truppen mehr zu liefern.

Am 10. Mai unterzeichnete Favre in Frankfurt den Friedensvertrag. Man vereinbarte noch engere militärische Kooperation. Moltke depeschierte nach Saint-Denis: Misslinge der Angriff der Versailler, sei deren Verfolgung von Paris aus durch neutrales Gebiet nicht zuzulassen, sondern »unter Anwendung aller zur Verfügung stehenden Mittel« abzuweisen. Jedoch »wollen seine Majestät nicht, dass deutsche Truppen in die Straßenkämpfe von Paris verwickelt werden«.

Ein Rapport des Oberkommandos der III. Armee berichtet von einer Konferenz am 11. Mai, auf der von Schlotheim und der Stabschef des französischen Oberbefehlshabers Patrice de Mac-Mahon die Aufgaben beider Heere für einen Überraschungsangriff in der Nacht vom 21. zum 22. Mai absprachen. Der Plan wurde hinfällig, weil der Verräter Jules Ducatel in selbiger Nacht den Versaillern das Tor von Saint-Cloud öffnete. Die Deutschen wurden davon um 19 Uhr informiert. Um 23 Uhr befahl Berlin, Paris sofort von allem Personen- wie Telegrafenverkehr zu Lande und zu Wasser abzusperren. Um den Versaillern endgültig die Oberhand zu sichern, durften jedoch fünf französische Kanonenboote über die Seine in die Stadt einfahren.

Marx konstatierte: »Während die europäischen Regierungen so, vor Paris, den internationalen Charakter der Klassenherrschaft bestätigen, schreien sie Zeter über die Internationale Arbeiterassoziation – die internationale Gegenorganisation der Arbeit gegen die weltbürgerliche Verschwörung des Kapitals, (…) und die gesamte europäische Presse stimmt ein in den Chor.«⁵

Rechte Blütenträume

Bei den am 24. und 25. Mai 1871 im Berliner Reichstag stattfindenden Debatten über die Kriegskostenzahlung und die Annexion Elsass-Lothringens stimmte die SDAP dagegen und forderte einen gerechten Frieden. August Bebel bekannte sich zur Pariser Kommune und verurteilte die deutsche Unterstützung der Konterrevolution. Gleichwohl blicke das europäische Proletariat hoffnungsvoll auf die Kommune als ein Vorpostengefecht. Er hob hervor, »dass die Hauptsache in Europa uns noch bevorsteht und dass, ehe wenige Jahrzehnte vergehen, der Schlachtruf des Pariser Proletariats: ›Krieg den Palästen, Friede den Hütten, Tod der Not und dem Müßiggange!‹ der Schlachtruf des gesamten europäischen Proletariats werden wird.«⁶

Diese Losung Bebels blieb durchaus lebendig. Aber zu viele Menschen folgten doch der offiziellen Propaganda des Kaiserreichs und des späteren Nazireichs, wonach Frankreich der »Erzfeind« blieb. Die Jugend beider Länder musste sich noch in zwei weiteren Kriegen bekämpfen. Zugleich steuerte ein nicht unbedeutender Teil der herrschenden Klassen links und rechts des Rheins auch weiterhin strategisch eher Zusammenarbeit im großen Stil an. Ein Protagonist für die Schaffung eines wirtschaftlichen Großraums, der mindestens das Ruhrgebiet, Lothringen und Luxemburg umfassen sollte, war – bereits nach dem Ersten Weltkrieg – Konrad Adenauer. Mit dem Vorschlag der Gründung einer »Rheinischen Republik« wollte er die Befreiung von den Reparationsleistungen des Versailler Vertrags und den Abzug der französischen Truppen erreichen. In seinen Memoiren schrieb er: »Ich bin für eine vernünftige, beiden Interessen gerecht werdende Verständigung. Ich bin deshalb in den Zwanziger Jahren für eine organische Verflechtung der französischen, der belgischen und der deutschen Wirtschaft zur Sicherung des dauernden Friedens eingetreten.« Er warnte auch bereits davor, dass es ohne eine zentraleuropäische Konsolidierung zu weiteren Kriegen kommen werde und dass mittelfristig sogar die Welthegemonie Europas verlorengehen könne.

Ein weiterer Krieg wurde bekannterweise nicht verhindert. Aber das triumphalistische Bild, das die Nazipropaganda von der Niederwerfung Frankreichs verbreitete, und die Elogen, die nach dem Krieg auf die französische Résistance gesungen wurden, verschleierten das Ausmaß der Kooperation wieder, über die sich die beiden Kapitalistenklassen verständigten. Deutlicher Ausdruck dafür war nicht nur die Einrichtung einer halbautonomen Zone in Südfrankreich, sondern auch, dass in Paris eine deutsche Botschaft errichtet wurde. Damit wurde Frankreich als einzigem besetzten Land eine Art Partnerstatus zugestanden. Die Botschaft hatte die Aufgabe, enge wirtschaftliche Beziehungen herzustellen, die zwar die deutsche Hegemonie sichern, aber den französischen Kapitalisten ebenfalls noch Gewinne zuschustern sollten.⁸

Die nazistischen Blütenträume verwirklichten sich in dieser Form nicht. Aber die noch während Konrad Adenauers Kanzlerschaft realisierte Montanunion entsprach in vielem seiner früheren Idee einer »Rheinischen Republik«. Aus der Montanunion entwickelte sich die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und schließlich die Europäische Union, die bis heute auf Ausbeutung von Arbeit und Natur, auf Konkurrenzdruck und neokolonialer Raffgier basiert. Bislang lag ihr kaum etwas ferner, als eine Sozialunion zu werden.

Anmerkungen und Quellen

1 Karl Marx: Der Bürgerkrieg in Frankreich, MEW, Bd. 17 (1971), S. 360 f.

2 Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Chronik Teil 1, Dietz-Verlag Berlin 1965, S. 93 f.

3 Albert von Holleben: Pariser Kommune 1871 unter den Augen der deutschen Truppen, Berlin 1897. Zitiert wird hier und im folgenden nach: Jean Villain: Die großen 72 Tage. Ein Report über die Pariser Kommunarden, Verlag Volk und Welt, Berlin 1971

4 Der Volksstaat, 24.6.1871

5 Marx, a. a. O., S. 361

6 Geschichte, a. a. O., S. 95

7 Der in der DDR sehr bekannte Wirtschaftsjournalist Karlheinz Gerstner gibt in seinen Erinnerungen: »Sachlich, kritisch, optimistisch«, Berlin 1999, S. 117–191 ein detailliertes Bild der wirtschaftlichen Funktion der deutschen Botschaft in Paris zwischen 1941 und 1944. Er war vom Auswärtigen Amt dort als »Wissenschaftlicher Hilfsarbeiter« engagiert worden.

Siehe dazu auch den Beitrag „Kommune gegen Kapital.“

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